Adern des Lebens

Vorsichtig klettere ich die Böschung hinab und sehe mir das Bauwerk von unten an. Auf dem Bahnradweg Hessen führt der Weg oft auf alten Bahnstrecken entlang. Einige Brücken sind original erhalten und für die neue Nutzung ertüchtigt. Als Eisenbahnbegeisterter freue ich mich an dem Bauwerk, dem seine ursprüngliche Verwendung noch anzusehen ist. Dann geht es weiter auf dem Radweg durch eine Mittelgebirgslandschaft mit traumhaften Ausblicken. Diese Erfahrungen mit meiner Frau teilen zu können, macht die Freude komplett.

Brücken sind Lebensadern. Über manche fahren tonnenschwere Züge. Ingenieure haben die Kräfte berechnet, Widerlager und Fundamente im Baugrund verankert. Es gibt Brücken, die haben schon Jahrhunderte überdauert. Zugleich sind sie zerbrechlich. Eine Menschengruppe sollte nicht im Gleichschritt darüber marschieren. Das ist wohl nicht nur im Sinne der Brücken eine weise Entscheidung.

Brücken sind Lebensadern. Über Brücken fließt das Leben. Sie verbinden hüben und drüben, Menschen und Länder. Eine Brücke zu bauen, setzt Erfahrung und Kunstfertigkeit voraus. Wer eine Brücke baut, muss auf beiden Seiten den Baugrund erkunden, die Gegebenheiten verstehen.

Zugbrücken-Mentalität schottet ab und damit werden wir das Zusammenleben auf diesem Planeten nicht gestalten können. Brücken als Lebensadern helfen, dass die Wertschöpfung in einer Region zirkulieren kann und nicht nur per LKW stinkend und donnernd im Transit vorbeifährt. So stärken Brücken Gemeinschaft, fördern Beteiligung und Wohlstand vor Ort und sorgen für Verständigung und Frieden.

Gott selbst hat eine Brücke gebaut, als er in seinem Sohn Jesus Christus Mensch wurde. Gott hat die andere Seite, die menschliche, hautnah und verletzlich kennengelernt und damit eine tragfähige, dauerhafte Verbindung geschaffen. Brücken auch von Mensch zu Mensch zu bauen, leitet sich daraus aus meiner Sicht als klarer Auftrag ab.

Kurt Rommel dichtete (1963):

Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen,

gib mir den Mut zum ersten Schritt.

Laß mich auf deine Brücken trauen,

und wenn ich gehe, geh du mit.

 

Ich möchte gerne Brücken bauen,

wo alle tiefe Gräben sehn.

Ich möchte hinter Zäune schauen

Und über hohe Mauern gehen.

(Evangelisches Gesangbuch Bayern und Thüringen, Nr. 646,1+2)